Der Frühe Patientenkontakt
Eine Lehreinheit im Rahmen des Schwerpunktes Community - Was verbirgt sich dahinter?
An der Universität Greifswald wird seit dem Wintersemester 1999/2000 die Lehreinheit „Der Frühe Patientenkontakt" angeboten. Es handelt sich hierbei um ein Lehrprojekt im Rahmen der Community Medicine/Community Dentistry.
Die grundlegende Zielstellung des „Frühen Patientenkontaktes" besteht darin, das Zahnmedizinstudium möglichst frühzeitig patientennah zu gestalten. Es soll vermittelt werden, dass die Studierenden nicht nur den „Mikrokosmos Mundhöhle" betrachten, sondern den Grundsatz erkennen, dass „an jedem Zahn auch ein Mensch (Patient) hängt".
Patienten können, wenn sie den Zahnarzt aufsuchen, eine Fülle von allgemeinen Erkrankungen haben, die anamnestisch abgeklärt werden müssen. Es ist daher wichtig, den Patienten mit seiner Erkrankung in seinem sozialen Umfeld besser verstehen zu lernen. Diesen Wechselwirkungen zwischen sozialem Umfeld und häufigen Erkrankungen widmet sich der Fachbereich der Community Medicine/Dentistry. Aus diesem Grund ist auch der „Frühe Patientenkontakt" als Projekt in das Schwerpunktprogramm Community Medicine integriert.
Betrachtet man die traditionelle vorklinische Ausbildung in der Zahnmedizin, zeigt sich dass die vorklinische Ausbildung keinen persönlichen Kontakt zwischen Studierenden und Patienten vorsieht. Die erste Konfrontation mit einer realen Patientensituation erfolgt mit Aufnahme der klinischen Behandlungstätigkeit zu Beginn des 7. Semesters. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Studierende bereits 2,5 Studienjahre absolviert, ohne einen Patientenkontakt erlebt zu haben. An dieser Stelle greift das Konzept „Der frühe Patientenkontakt".
Die Lehreinheit umfasst verschiedene Module und erstreckt sich über die ersten vier Semester des vorklinischen Studienabschnittes. Bereits im ersten Semester werden die Studierenden mit der Gesundheitssituation der Bevölkerung der Region vertraut gemacht. Dazu wird eine Vorlesungsreihe - Community Medicine, zu Themengebieten wichtiger Zivilisationskrankheiten, wie z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Tumorerkrankungen, Gefäßerkrankungen, Diabetes mellitus, Suchterkrankungen, angeboten.
Zur Vorbereitung und Begleitung der Patientenkontakte nehmen alle Studenten am Kurs „Medizinische Psychologie- Einführung in die ärztliche Gesprächsführung" teil. Dieser Kurs soll Kenntnisse über unterschiedliche Ausdrucksformen der Krankheitsbewältigung sowie über den Einfluss der Arzt-Patienten-Beziehung auf Krankheitsverhalten und -erleben vermitteln. Weiteres Ziel des Seminars ist die Förderung und Entwicklung kommunikativer Fähigkeiten, die für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient von Bedeutung sind.
Im späteren Verlauf der Lehreinheit erfolgt die Aufarbeitung des erlangten Wissens nach der Lernmethode des „Problem orientierten Lernens - POL". Die Einführung in diese Lernmethodik wird ebenfalls bereits im ersten Semester gegeben.
Die Vorlesungsreihe Community Medicine wird im zweiten Semester fortgesetzt. Zusätzlich beginnt das Patientenbesuchsprogramm, welches das eigentliches Kernstück der Lehreinheit darstellt. Dazu verlassen die Studierenden den Hörsaal und suchen die Patienten in ihrer häuslichen Umgebung auf. Es wird jeweils zwei Studenten ein Patient zugewiesen, den sie über einen Zeitraum von 2 Jahren in regelmäßigen Abständen (mind. 2x pro Semester) besuchen.
Wie mit eigenen Daten aus der an der Universität Greifswald durchgeführten SHIP-Studie (Survey of Health In Pommerania) belegbar, wird sich der Anteil der älteren Menschen in den kommenden Jahren signifikant erhöhen, und damit auch den Stellenwert des Teilgebietes der Alterszahnmedizin an Bedeutung gewinnen lassen. Daher richtet sich der „Frühe Patientenkontakt" vorwiegend an die älteren Mitbürger unserer Region. Im Mittelpunkt stehen anamnestische Fragestellungen zu den Lebensumständen, sozialen Hintergründen und den Lebensweisen der älteren Patienten. Die Studierenden sollen diese Fragen in persönlichen Gesprächen mit den Menschen auswerten, um u.a. einen Einblick in das komplizierte Gebiet der Alterszahnmedizin zu erhalten.
Da dieses Besuchsprogramm über zwei Jahre fortgeführt wird, gibt es den Studierenden die Möglichkeit, sich ein umfassendes Bild „ihres" Patienten zu erarbeiten. Weiterhin wird sich verstärkt mit präventiven Themen und der Bedeutung der Mundhygiene auseinandergesetzt. Die Studierenden werden aktive Hilfestellungen bei der Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Mundhygiene geben und im weiteren Verlauf auch selbst entsprechende Maßnahmen durchführen.
Begleitend zum Besuchsprogramm finden regelmäßige Tutorien statt, in welchen sowohl aktuelle Problematiken zu den eigenen Patienten, als auch reale Patientenfälle im Sinne der POL-Methode bearbeitet werden. Im vierten Semester wird die Lehreinheit um ein Hospitationsprogramm erweitert. Dieses umfasst Hospitationen in regionalen zahnärztlichen Praxen sowie Kindergärten und Schulen der Umgebung. Dadurch wird den Studierenden der Einblick in den „normalen" Praxisalltag aus verschiedenen Perspektiven ermüglicht. Die erste Staffel dieses Projektes wurde erfolgreich im SoSe 2002 abgeschlossen und die zweite Staffel ist bereits angelaufen.
Wir möchten Sie daher einladen, an diesem Projekt mitzuwirken. Allen, die an der Lehreinheit des „Frühen Patientenkontaktes" teilnehmen, sei herzlichst gedankt und viel Erfolg gewünscht.
Prof. Dr. B. Kordaß
Zahnmedizinische Propädeutik/Community Dentistry - Leiter der Lehreinheit
OÄ Dr. A. Ratzmann
Koordination und Betreuung der Lehreinheit